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Leipziger Literatur-Zeitung.

Am 1. des July.

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168.

1) Sämundis Führungen, ein Roman aus der Geschichte der freien Maurer im ersten Jahrhundert. Von J. A. Kanne. Geliebt warst du zuerst, damit du würdig würdest, geliebt zu werden." Augustin. Nürnberg bey Riegel und Wiessner 1816. 324 S. Pr. 1 Thl. 8 Gr.

2) Colebs oder der junge Wanderer, der eine Gattin sucht. Ein Beytrag zur genauern Kenntniss der häuslichen Gewohnheiten und Sitten, der religiösen und moralischen Denkart Englands von Hanna More. Nach der vierzehnten OriginalAusgabe aus dem Englischen. Erster Band. Stuttgart bey Steinkopf. 1816. Vorrede XIV. 350 S. Zweyter Band. 1816. 576 S. Pr. 2 Thl.

Die Muse des Romans hat bekanntermassen einen etwas zweydeutigen Ruf, u, daran sind die Schriftsteller vom ersten Range in allen Sprachen eben so sehr, als der Tross ihrer Nachahmer Schuld. Schon dass der Roman nicht nur dichterisch vergnügen, sondern auch wohl insgeheim die Menschen zu Meinungen auf gut prosaisch überreden will, macht ihn etwas verdächtig. Und nun bedenke man erst, welches so häufig die Lebensansichten sind, die darin aufgetischt werden, wie sich mit allem Aufwande von Empfindsamkeit, Abentheaerlichkeit, Witz, Humor und Satyre, die poetische Hyperbel, die sogenannte ideale Einseitigkeit oder gar eine verderbte Welterfahrung in das reizhare Herz und in das wirkliche Leben einschleicht, welche Verzerrung aller festen Urtheile, heitern Lebensvorstellung und sittlichen Ordnung sich dem überreizten jugendlichen und weiblichen Gemüthe mittheilt, ungeachtet diese das Gestalt- und Regellose gerade am wenigsten vertragen können. Freylich soll eine sittliche Schulpedanterie nicht alle Freyheit der Ansicht ersticken, die man mit Fantasie, Philosophie und Erfahrung auf den Höhen des Lebensweges gewinnt. Der Jüngling soll dem Schulzwange entnommen in Universitätsjahren und

1817.

auf Wanderungen einer gewissen Unbeschränktheit geniessen. Selbst das junge Weib, welches aus der jungfräulichen, durch keine Dissonanzen gestörten Stille in die Welt tritt, muss die Dissonanzen des Lebens kennen lernen, ihre fremde, wunderbare, auch wohl ausschweifende Sitten und Urtheile betrachten, nicht nur um weltklug, nein um aus freyer Wahl sittlich und gläubig zu werden. Jünglinge und Mädchen nun mit allem diesem auf eine zartfühlende und verständige Art bekannt zu machen, da der Baum des Erkenntnisses einmal gekostet werden muss, ist nun das schwere Amt, welches eigentlich dem Roman aufgetragen scheint, in wiefern er als Werk der Beredsamkeit und Belehrung, noch mehr wie das Lehrgedicht, kurz als halbe Prosa ein Amt hat. Dass dieses Amt von einem Richardson in seinen Grandisonen und Clarissen zu steif und pedantisch verwaltet wird, wiewohl mit viel Zartgefühl, wollen wir gern zugeben. Dass mehr Poesie dabey möglich sey, hat die Erfahrung gezeigt, hätte nur diese höhere Poesie nicht alle Nüchternheit mit sich fortgerissen. Der jugendlichen Phantasie muss allerdings romantisch zu Muthe werden, wenn sie sich zuerst vom Labyrinth der grossen Welt umfangen erblickt, und sie muss sich nach einem Faden der Ariadne umsehn, welchen ihr in fremden poetisch dargestellten Beyspielen die Muse des Romanes reicht. Der Romanenheld, der hier als Beyspiel zu brauchen ist, ist demnach ein solcher, welcher, wie ein, wenn auch sonst nicht ganz musterhafter Wilhelm Meister, Lehrjahre hat, wie ein Sämundis, in Kannes Roman, Führungen besteht, oder wie Hanna Mores Cölebs sich als Wanderer auf den Weg macht, um Menschenkenntniss und eine Gattin zu suchen. Nun fallen aber leider die grossen Romanendichter bey diesem ihrem Amte, die Jugend mit der Welt bekannt zu machen, eben so wie die gemeinen, gewöhnlich, um von einer groben Sache einen groben Ausdruck zu gebrauchen, mit der Thüre ins Haus. Ihnen haben wir es vorzüglich zu danken, wenn unsere früheste Jugend mit allen Schwelgereyen der wunderlichsten, unordentlichsten Einbildungskraft des gemüthlosen Witzes oder der geschraubten Gefühle, mit der ausschweifendsten sittenlosesten Darstellung, und mit aller satyrischen Zweifelsucht in Ansehung eines guten Geistes, der das Leben bewohnen möchte, bereits übersättigt ist, und beynahe nichts mehr zu lernen hat. Rous

seau schrieb seine Heloise, trotz ihres frommen Schlusses, doch in einer Art Verzweiflung an den Menschensitten. Voltaires philosophische Romane sind wenigstens grösstentheils das Werk der Menschenverachtung, und in sofern bestimmt, nur von einem lebenssatten Timon gelesen zu werden. Die englischen Humoristen, worunter wir hier aber den treflichen u. unerréichten Goldsmith nicht rechuen, waren auch etwas mit dem Leben zerfallen, dessen Umrisse sie grell, selten versöhnend, schildern. Indess waltet doch eine feine Empfindung, eine nüchterne Weltansicht, und ein gewisser Geist der ästhetischen Form über ihren Witzspielen und Lebensschilderungen. Allein eine so gutmüthige Liebhaberey aus reiner Menschenliebe, das Herz der Leserwelt über die Potenz der Seligkeit hinaus in die Unseligkeit zu überreizen und in ihrem Kopfe eine Umkehrung aller Ausichten, ein metaphysisches, fantastisches, sittliches Chaos, als höchstes Werk des Genius hervorzubringen, findet sich wohl bey keiner Nation in ihren Romanen so häufig, als bey der deutschen, eben weil bey der Tiefe ihres Gefühls und ihrer Forschung auch ihre Verkehrtheit am aller gefährlichsten werden muss. Wäre doch nur, wie ein Romanenschreiber selbst witzig genug sagt, jeder Roman so systematisch, wie ihn jener Buchhändler bestellte, der eine Band abentheuerlich, der andere schlüpfrig u. freygeisterisch, der dritte moralisch und hochtrabend, wie man die Musikstücke in Andante, Adagio, Allegro zu theilen pflegt, so wüsste doch jeder Leser nach Belieben auszusuchen, und sich im Labyrinth zu finden, anstatt dass jetzt alles durch einander geht und derjenige, der in unsern Romanen Belehrung, Einweihung in das Mysterium des Lebens sucht, gegenwärtig nur immer mehr mystificirt wird.

Die beyden hier zu beurtheilenden Romane zeichnen sich vor der grossen Masse ihrer Mitbrüder und Zeitgenossen allerdings durch eine festere Richtung, reinere Stimmung und eine edlere Lebensansicht aus, und werden eben deswegen der hochgebildeten deutschen Lesewelt im Ganzen bey dem so verwirrten und verzerrten Geschmacke sich weniger empfehlen. Denn so prahlend auch das patriotische, moralisch- stolze Modegeschrey von der deutschen Sittlichkeit seyn mag, so zeigt doch die ausschliessliche Aufmerksamkeit, welche die vornehm literarische deutsche Lesewelt nur auf tändelude, abentheue: liche und gar frech - unsittliche ästhetische Geburten richtet, dass es mit der deutschen Sittlichkeit in Vergleichung gegen das Ausland noch nicht so weit her sey! Vielleicht zwar ist es gut, dass in Deutschland keine Hauptstadt, keine Akademie der Gelehrten, selten ein literarisches Tribunal den Ton in der Literatur anzugeben vermag, dass selbst die geträumte deutsche Gelehrtenrepublik sich so wenig versteht. Dafür bestimmt aber auch die jugendliche Parteysucht, das zufällige Urtheil einiger anerkannten Kunst

richter, einiger Grossen, vor allen das genialisch oder bürgerlich vornehme Ansehn eines Schriftstellers so oft seine grössere Wirksamkeit. So haben denn einige wenige, selbst damals noch gewaltig jugendliche Stentorstimmen von Modekritikern nun einmal dem guten Deutschen, der in der Bücherwelt ein wenig John Bull ist, ein paar berühmte Hauptnamen zur Verehrung aufgestellt, und ihm besonders die Trennung der Sittlichkeit und des Erustes von der Schönheit, an welche ein Plato nie glauben konnte, so ganz begreiflich gemacht, dass der gute deutsche Leser den Kern seiner ältern so gehaltvollen, leider aber noch etwas sittlich abergläubischer Literatur gänzlich vergisst, sich nur um die ihm oft sehr nachlässig zugeworfenen Brocken der erklärten Lieblingsschriftsteller im Tone der sogenannten grossen Welt begierig reisst, die wildesteu Excretionen ihrer Phantasie for Prinz Biribinkers Orangewasser (in Wielands Mährchen) hält, und durchaus nichts interessant findet, wo der Geist nicht an dem Rande der abeutheuerlichsten Lebensansicht voll Zauberey, Schicksal und Materialismus oder baroken magnetischen Traumwelt hinschweift. Kurz man muss fast meynen, bey Deutschen heisse nur höchste Poesie eine an der Weltlichkeit und den plattsten Lastern sich weidende, aber mit Wohlgerüchen lieblicher Bilder und stolzer Sentenzen, den Höllengestank beräuchernde Einbildungskraft. Eine Art Religiosität ist zwar wieder an der Ordnung des literarischen Modetages nur darf sie durchaus nicht mit kräftiger Begeisterung den Flug eines Milton oder Klopstock nehmen, mit lutherischem Ernste der Wahrheit auftreten wollen, damit, wie geschrieben steht in neuen heiligen Schriften, die alte Schwiegermutter Weisheit unsere junge Frau im Hause, das zarte Seelchen, die Phantasie ja nicht beleidige." Darum hängt die neue Literatur ihrer Religiosität so gern das schwere alte erzkatholische Messgewand, den Wundermantel der Legende, das spielende Flügelkleid des grausigen Gespenster mährchens für Kinder um, damit es immer bey den vielen Mirakeln ungewiss bleibe, ob der vornehme, weltkluge Dichtergeist, der das vornehme Publicum unterhält, nicht etwa mit dem Glauben nur sein höfliches Spiel treibe, damit der hohe Dichtergeist und sein gleichartiges Publicum die schauerliche Würde und angenehme Rührung, welche die Religion etwa geben kann, ganz geniesse, ohne doch im geringsten in seinen gebildeten freyeren Weltansichten gestört zu werden. Solchen zarten Geschmack u. solche feingebildete Religiosität, wie sie jetzt bey uns herrschend zu seyn scheint, hat Paulus, der Apostel, in seinem Briefe an den Timotheus treffend geweissagt: „Es wird eine Zeit seyn, sagt er, da sie die heilsame Lehre nicht leiden werden, sondern nach ihren eigenen Lüsten werden sie ihnen selbst Lehrer aufladen, nach denen. ihnen die Ohren jücken, und werden die Ohren von der Wahrheit wenden und sich zu den Fabeln

neuen

kehren." Dass es noch eine würdigere, kleine, deutsche Lesewelt gebe, wäre ungerecht zu verschweigen, welche aber in Sachen des Geschmacks, der Lehre und der Wissenschaft leider zu der ecclesia pressa gehört. Die grössere Menge hingegen besteht erstlich aus den happy Few, von höchster ästhetischer Bildung, die in den Lesezirkeln das Wort fühen, und dann aus dem furchtsamen Haufen, der ihnen nachbetet. Und in diesem Kreise kennt man nur solche Schriftsteller, welche selbst Welterfahren und genialisch vornehm sich dünkend in der Stimmung der grossen Welt Anleitung zu geben vermögen, anstatt dass man soust vermeinte der Lehrer der Menschen durch Schrift, vom Geiste in der Einsamkeit erhoben, solle dem Strom der Weltlichkeit, der Welt seiner Zeitgenossen entgegent. eten und entgegenarbeiten.

Vom Geiste einer bessern, wahren Religiosität aber sind nun die beyden anzuzeigenden Bücher erfullt, welche übrigens das unterhaltende Gewand des Romans nicht verschmäht haben, um mit unter tiefe Wahrheit zu verkünden. Wir haben diese beyden Schriften in Eine Anzeige vereinigt, weil sie, ungeachtet der verschiedenen Form und Ausführung, der nationellen und Geschlechtsverschiedenheit derjenigen, von denen sie herrühren, dennoch Eine Hauptabsicht zu haben scheinen, nämlich wahre christliche Gesinnungen wieder zu erwecken. Beyde tragen schon einige Empfehlung so zu sagen an der Stirn in ihren Titeln. Herr Kanne, Verf. von No. 1., ist schon eine geraume Zeit eben sowohl als witziger, humoristischer Schriftsteller, wie auch als genialer Denker und gelehrter Forscher in den Mysterien der alten Mythen und Sprachen bekannt, wiewohl ihm mehr das Talent in jenen verborgenen Tiefen der alten Völkerweisheit neues auszuspüren, als das gefundene auf eine geniessbare Art zu ordnen, eingeräumt werden konnte. Bey einem solchen Manne, der das labyrinthische Pantheum der Religionen durchirrte, muss es für alle Bekenner der klaren, einfachen Wahrheit des Christenthumes doppelt erfreulich seyn, wenn selbiger von eben dieser einfachen Klarheit ergriffen, in vorliegender Erzählung die Reinheit evangelischer Religion und Tugend gegen allen Prunk heidnischer Weltlichkeit hervorhebt. Diese Richtung seines Gemüthes war bereits aus Aeusserungen in seinem Pantheum vorher zu sehen. ,,Viele, meint er da, wurden einst gar die Entdeckung machen, dass er ordentlich mit christlichem Glauben schreibe und blutwenig Verstand besitze." Ausserdem lässt der vorliegende Kannische Roman schon auf dem Titel ahnen, dass er den Schicksalen der christlichen Kirche sehr glücklich eine ihrer romantischen Seiten abgewonnen habe, indem sie in jener Zeit geschildert werden, wo sich die nze Römerwelt in Romantik auflöste, wo die cistliche Wahrheit noch mit dem Reize der Neuheit gegen die ersterbenden heidnischen Symbole

ausgerüstet, unterdrückt von öffentlicher Gewalt in geheimen wundervoll wirksamen Vereinen sich hervorthat. Da nun Neues und Geheimes jede weltliche Phantasie in Romanen zu ergötzen pflegt, und vorzüglich die Idee von geheimer, sittlicher Gesellschaft von den ältesten bis zu den neuesten Zeiten bey den Menschen einiges, grösstentheils freylich nichtiges Aufsehn erregt (indem solcher Tugendgesellschaft es selten einfällt, wie Sämundis S. 158. sagt, den guten Zwecken mehr mit guten Mitteln zu dienen, als mit schlechten), so wird hier, nach Tasso, die Medicin dem kranken Kindlein in einem mit Honig bestrichenen Glase gereicht. Was den englischen, hier übersetzten, Roman von Hanna More No. 2. betrift, so bezeugen schon die auf dem Titel angegebenen vierzehn Originalausgaben, wie sehr dies Bach einer englischen religiösen Dichterin in seinem ursprunglichen Vaterlande gelesen worden, und es bedurfte daher kaum der noch überdiess in einer Vorrede hinzugekommenen Empfehlung des würdigen Herrn M. Steinkopfs, Pastors der deutschen lutherischen Kirche zu Loudon, einen Uebersetzer aufzufordern, in welcher Eigenschaft hier Herr Pfarrer Blumhardt, früherer Uebersetzer des Buchanan und anderer englischen Schriften, auftritt. Merkwürdig übrigens zur Erkenntniss des verschiedenen Zustandes der christlichen Kirche in England und Deutschland ist die Art, wie beyde Bücher, No. 1 und 2.,. einen u. eben denselben Gegenstand nehmen. In Deutschland hat freylich französischer Witz, prosaische, sogenannte Aufklärung und nachher ästhetisch-geniale Sucht nach dem griechisch - heidnischen Geschmack, von den berühmtesten Schriftstellern ausgesprochen, der Sache des innerlichen und äusserlichen Christenthums überhaupt geschadet, und so sah sich Hr. Kanne genöthigt, den Kampf des Christenthums mit dem Heidenthume besonders darzustellen und drückt dabey eine gewisse Stimmung aus, die alles bis zum Ekel getriebenen Philosophirens und Aesthetisirens in Deutschland satt ist. In England hingegen, so viel es einzelne scharfsinnige Freygeister gab, konnten sie doch dem äusseren bürgerlichen Anstande der christlichen Kirche weniger Eintrag thun. Desto verderblicher wirkte der Zwiespalt der einzelnen Secten, und so sah sich wiederum Hanna More genöthigt, mehr gegen die einzelnen Sektenansichten und zur Wiederbelebung erstorbener christlichen Formen äusserer Ehrbarkeit durch Kunstgefühl und edlere Philosophie zu wirken.

In poetischer Hinsicht, an Tiefe des Gefühls und Gedankens verdient der Kanuische Roman allerdings den Vorzug. Treffend hat er seinen Hauptgedanken in Erzählung sowohl als in dialogisirter Lehre durchgeführt, dass die christliche Tugend in Verläugnung des seibstischen Wesens, der Neigung u. des Stolzes bestehe. Sein Held Sämundis wird von allen weltlichen Neigu gen besturmt, von der

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